Was die „Mugshots“ erzählen (2024)

Die Aufnahmen aus dem Gefängnis sind längst Teil der amerikanischen Popkultur geworden. Anhand der Bilder lässt sich bisweilen die Geschichte des Landes nacherzählen.

Donald Trump stellt es sich so vor: Sein Mugshot wird zu einem Verkaufsschlager und Teil der amerikanischen Popkultur. Der ehemalige Präsident, der sich mehrfach vor Gericht verantworten muss, will das Bild aus dem Gefängnis in seinen Präsidentschaftswahlkampf integrieren. Er selbst postete die Aufnahme bedeutungsschwanger auf X, vormals Twitter – überhaupt sein erster Post nach einer langen Twittersperre. Auf T-Shirts kann der Mugshot von Trump bereits käuflich erworben werden, unter dem Bild steht der Schriftzug: „Never surrender!“ („Gib niemals auf!“)

Trump will den Mugshot für seine eigene Sache instrumentalisieren. Unter anderen Vorzeichen macht das auch die Schauspielerin Jane Fonda, deren Mugshot aus dem Jahr 1970 bereits um die Welt ging und die auch in jüngster Zeit mindestens zwei Mal bei Klimaprotesten verhaftet wurde. Heute sinniert sie im Fernsehen, wie man sich bei einer Verhaftung am besten verhalte. Doch ist es Fondas alter Mugshot – die linke Hand hat sie dabei nach oben gestreckt –, der Teil der amerikanischen Popkultur wurde. Es hängt in Ateliers und Wohnungen, wird gemeinhin als Ikonografie ihrer Rebellion gegen den Vietnam-Krieg gesehen. Verhaftet wurde Fonda damals in Cleveland mit dem Vorwurf, sie würde Drogen schmuggeln. Doch verärgerte ihr Aktivismus bekanntlich die Nixon-Regierung, CIA und FBI waren ihr auf den Fersen.

Die Professionalisierung der Mugshots für das Gefängniswesen lässt sich auf den Kriminalisten Alphonse Bertillon (geboren 1853) in Paris zurückführen. Das Fotografieren nach diesem Format verbreitete sich schnell, aus dem vorrevolutionären Russland sind Mugshots von Stalin und Lenin dokumentiert, aus dem präfaschistischen Italien von Benito Mussolini. In den USA lässt sich die Kriminalgeschichte bisweilen anhand von Mugshots nacherzählen.

Was die „Mugshots“ erzählen (1)

Von Lee Harvey Oswald, dem mutmaßlichen Attentäter von John F. Kennedy, gibt es außer seinem Mugshot kaum eine andere Aufnahme. Al Capone, Chicagos berühmtester Verbrecher, lächelt auf einem seiner Mugshots den Fotografen regelrecht an. Richtig unheimlich ist hingegen jener von Sektenführer Charles Manson, der mit aufgerissenen Augen nicht direkt in die Kamera blickt. Die Mugshots der Serienmörder stehen als Mahnmal für die Fülle an zum Teil unglaublichen Verbrechen, die in den USA begangen wurden (Jeffrey Dahmer, Ted Bundy und Gary Ridgway, um nur drei zu nennen).

Was die „Mugshots“ erzählen (2)

In den USA erzählen die Mugshots aber auch eine andere Geschichte. Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung wurden regelmäßig schikaniert, festgenommen und inhaftiert. So weigerte sich die Bürgerrechtlerin Rosa Parks in Montgomery, Alabama, ihren Sitzplatz im Bus einem weißen Fahrgast zu überlassen. Ihr Mugshot aus dem Jahr 1955 erzählt bis heute den langen Weg der Gleichstellung der afroamerikanischen Bevölkerung: Parks Aktion hatte den Busboykott vieler Afroamerikaner zur Folge. Während des Busboykotts wurde auch Martin Luther King verhaftet und fotografiert.

In die Geschichte eingegangen sind ebenso die Mugshots der Freedom Riders: Es waren Freiwillige, die im Süden der USA aus Protest segregierte Sitzplätze und Warteräume besetzt haben. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Segregation im öffentlichen Verkehr bereits verboten, doch weigerten sich die südlichen Bundesstaaten, das Urteil des Supreme Court umzusetzen. Mugshots gibt es zudem von Bürgerrechtler Malcolm X und dem Black-Panther-Gründer Huey Newton.

Was die „Mugshots“ erzählen (3)

Die 1960er und 1970er Jahre liefern insgesamt viele ikonische Mugshots. Auch unvergessen: Der gestellte Mugshot von Johnny Cash im Folsom-Gefängnis, wo er 1968 ein Live-Album aufnahm.

Und zeitgeschichtlich? Das Foto von Donald Trump ist nur der vorläufige Höhepunkt einer bizarren Entwicklung, die die Bilder aus dem Gefängnis fast schon zu einem Must-have für das Hollywood-Universum machen. Wegen Drogen wurden schon einige namhafte Persönlichkeiten festgenommen, von David Bowie über Bruno Mars oder Mick Jagger bis Nick Nolte. Letzterer blickt in seinem Mugshot entrückt in die Kamera, die Haare stehen ihm zu Berge. Früher sei er der „sexiest man alive“ gewesen, und nun, „zehn Jahre später, sehe ich aus wie ein Verrückter“, schrieb Nolte später über die Aufnahme. Krasses Gegenbeispiel zu Nolte: Robert Downey Jr., denn er grinst fröhlich in die Kamera. Mugshots wegen Fehlverhalten im Verkehr gibt es auch zuhauf: Bill Gates, Keanu Reeves, Cher, Justin Bieber, Nina Dobrev, …

Was die „Mugshots“ erzählen (4)

Eine Karriere mit einem Mugshot begann indessen das frühere Gangmitglied Jeremy Meeks. Sein Bild aus dem Jahr 2014, das die Polizei nach einer Razzia veröffentlichte, machte rasch und unkontrolliert die Runde. Nur ein Stichwort: „Hot felon“. So wurde Meeks betitelt, und nach dem Gefängnis wartete bereits eine Modelkarriere auf den heute 39-Jährigen. Vielleicht fasst dieses Beispiel auch die jüngere Mugshot-Geschichte zusammen, zumindest aus Amerika und zumindest für die bekannten Personen: Sie sind nicht unbedingt Karrierekiller.

Was die „Mugshots“ erzählen (5)

Ob diese These auch für Trump gilt, wird sich zeigen. In Georgia ist jedenfalls nicht nur Trump angeklagt, sondern auch eine Reihe weiterer Personen im Zusammenhang mit mutmaßlicher Wahlbeeinflussung. Auch von diesen Angeklagten gibt es Bilder. Viel zu hoch belichtet, spottete Pete Souza, der Fotograf des früheren Präsidenten Barack Obama, auf Instagram. Und weiter: Obama hätte die besseren Bilder gemacht.

Was die „Mugshots“ erzählen (6)

Mit seinem komplexen und privatisierten Gefängniswesen, mit seiner Verhaftungspolitik und mit seiner reichen Kriminalgeschichte lässt sich wohl auch die gesellschaftspolitische Rolle der Mugshots in Amerika erklären. Doch auch Österreich hat einen berühmten Mugshot: Die Aufnahme des Vergewaltigers Josef Fritzl. (duö)

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